Praktisches Vorgehen

I. Voraussetzungen für die Cannabinoid-Verordnung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung prüfen

  1. schwerwiegende Erkrankung liegt vor
  2. Kontraindikationen bestehen nicht
  3. Beschwerden therapierefraktär bzw. Standardtherapie ausgeschöpft / nicht anwendbar
  4. Aussicht auf Symptomverbesserung aufgrund klinischer Daten oder eines individuellen Therapieversuchs

II. Antragstellung mit Darlegung durch den Arzt / die Ärztin:

    1. schwerwiegende Erkrankung
    2. bisherige Therapien
    3. Ziel / Rationale der Cannabinoid-Therapie

Als Grundlage kann der Fragebogen für Ärzte/Ärztinnen zu Cannabinoiden nach § 31 Abs. 6 SGB V genutzt werden

  • Genehmigungsfrist abwarten (3 Wochen; 5 Wochen bei Hinzuziehen des MDK in ambulanten Therapien). Sollten Sie nach Ablauf der Frist keine Antwort von Ihrer Krankenversicherung haben, gilt eine vorläufige Genehmigung der Therapie. Achtung: Es handelt sich trotzdem nur um eine vorläufige Genehmigung und die Krankenversicherung kann die Kosten immer noch ablehnen.
  • Bei positivem Bescheid: Verordnung auf BtM-Rezept zulasten der GKV möglich
  • Bei negativem Bescheid / Ablehnung haben Sie die Möglichkeit, innerhalb eines Monats Widerspruch einzulegen. Gehen Sie dabei auf die Punkte ein, die die Krankenkasse als Ablehnungsgründe genannt hat (siehe Vorlagen). Sollte die Krankenkasse die Kosten auf Grundlage der “nicht Austherapiertheit” des Patienten / der Patientin ablehnen, gibt es folgendes Urteil, das entsprechend im Widerspruch angeführt werden kann und das die Therapiehoheit des Arztes bzw. der Ärztin unterstreicht: 1 KR 16/19 B ER. Eine Befristung des Antrags ist nicht zulässig. Die Krankenkasse soll den eingelegten Widerspruch dann innerhalb von 6 Monaten bearbeiten. Andernfalls kann eine Untätigkeitsklage gegen die Versicherung eingereicht werden.
  • Falls der Arzt / die Ärztin den Fragebogen ausfüllt, können Patienten / Patientinnen den Antrag darin unterstützen, indem sie ihre persönlichen Erfahrungen mit der Cannabistherapie dokumentieren, möglichst umfassende Informationen zu ihrer bisherigen Therapie (auch bei anderen Ärzten / Ärztinnen) zur Verfügung stellen sowie allgemeine Informationen zu ihrer Krankengeschichte, auch durch Aufschreiben ihres Falls und persönlichen Schilderungen zum Krankheitsverlauf. Beschreiben Sie z.B.
    • Länge der Krankheitsgeschichte
    • Ihre persönliche Geschichte / Leben mit der Erkrankung
    • Erwerbstätigkeit und Erwerbsfähigkeit
    • Lebensqualität vor und mit der Therapie
    • Erfahrungen in der bisherigen Therapie, vormalige nicht erfolgreiche Therapieansätze und vorheriger Medikationsplan
  • Falls der Patient / die Patientin den Antrag alleine stellt, ist es dennoch ratsam, medizinische Unterstützung zu haben. Dies ist zwar nicht zwingend nötig, denn Antragsteller ist nicht der Arzt / die Ärztin, sondern Patienten / Patientinnen oder Versicherte. Eine Verordnung mit Kostenübernahme kann jedoch nur durch einen niedergelassene/n Kassenarzt / -ärztin erfolgen. Sprechen Sie Ihre Krankenversicherung darauf an, welche Ärzte / Ärztinnen sich in Ihrer Region befinden, die offen für eine Cannabistherapie sind.
  • Bei manchen Patienten / Patientinnen ergibt es Sinn, den Antrag nicht auf die Hauptindikation (z.B. Multiple Sklerose, HIV, etc.) sondern für Nebenindikationen oder Symptome (z.B. Schmerzen, Spastiken, Appetitlosigkeit) mit höheren Chancen der Kostenübernahme zu stellen.
  • Cannabis soll als Add-On Therapie zu Ihrer bestehenden Therapie eingesetzt werden? Wie das genau bei Ihnen erfolgen soll, legt Ihr Arzt / Ihre Ärztin fest und kann Sie mit Informationen unterstützen. 
  • Da im Fall der Verordnung von standardisierten Extrakten kein neuer Antrag notwendig ist, besteht hier die Möglichkeit für einen Therapie-Einstieg auf Extrakte.
  • Fax: Für einen schnellen und rechtssicheren Versand der Dokumente empfiehlt sich das gute alte Fax. Günstiger als ein Einschreiben ist es auch. Einige Krankenkassen bieten ein elektronisches Postfach zur Kommunikation an, welches ebenfalls genutzt werden kann.
  • Chronikerbescheinigung: Sinnvoll und für chronisch Kranke sehr einfach zu erhalten: „Chronikerbescheinigung”. Diese Bescheinigung („Feststellen einer schwerwiegenden chronischen Krankheit im Sinne des § 62 SGB V”) dient eigentlich zur Deckelung der Zuzahlung bei Arzneimitteln. Im ursprünglichen Gesetzentwurf war sie auch Voraussetzung für Cannabis als Leistung der Krankenkassen.
  • Alles gut dokumentieren. Dokumentieren Sie alles und sichern Sie Kopien Ihres Antrags und aller Unterlagen.
  • Schließen Sie ggf. eine Rechtsschutzversicherung ab.
  • Rechtsberatung: Ist nicht unbedingt notwendig, und auch nicht unbedingt kostenintensiv. Beispielsweise bietet der Sozialverband VdK seinen Mitgliedern Beratung in sozialen Fragen – ähnlich wie ein Mieterschutzverein –, zudem haben diverse Einrichtungen Patientenbeauftragte oder bieten Beratung für das Beantragen von sozialen Leistungen an.
  • Formales Rezept: Für den Antrag sollte der Arzt / die Ärztin formal eine Verordnung, also ein BtM-Rezept für Cannabis, ausstellen. Dieses Rezept dient ausschließlich dazu, die Entscheidung des Arztes / der Ärztin für eine Verordnung von Cannabis zu Lasten der Kasse zu dokumentieren und darf nicht eingelöst werden. Es kann entsprechend so rückdatiert sein, dass es nicht mehr einlösbar ist. Legen Sie das Rezept dem Kostenantrag bei.
  • Lassen Sie sich nicht abschrecken. Oftmals lehnt die Krankenkasse den ersten Antrag ab. Meistens hilft bereits der Widerspruch zur Ablehnung, um dann doch die Therapie genehmigt zu bekommen.
  • Antrag zurückziehen: Ziehen Sie im schlechtesten Fall Ihren Antrag zurück oder stellen Sie ggf. einen neuen Antrag mit einem abweichenden Therapieplan und einem anderen Präparat, sollte der von Ihnen eingereichte Antrag abgelehnt werden.
  • Patientenakte: Sie haben durch Datenschutzgesetze die Möglichkeit, von Ihrer Krankenversicherung Ihre Daten einzufordern (Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)- § 630f Dokumentation der Behandlung). Das gilt sowohl für Ihre Patientenakte beim Arzt / bei der Ärztin oder in einer Klinik als auch für die Daten, die Ihre Krankenkasse über Sie gespeichert hat. Wenden Sie sich dafür am besten direkt und schriftlich an Ihre behandelnden Ärzte / Ärztinnen bzw. an die behandelnde Klinik. Auch die Krankenversicherung muss auf Verlangen unverzüglich und vollständig in Ihre Patientenakte einsehen lassen. Sie können auch Abschriften oder Kopien Ihrer Unterlagen erhalten. Die Kosten dafür tragen in der Regel Sie. Viele Krankenversicherungen bieten auch eine sogenannte Patientenquittung an, die die verschiedenen Behandlungen auflistet.
  • Zugang zu Kommunikation: Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gibt jedem das Recht zu erfahren ob, welche und wozu personenbezogene Daten Unternehmen oder Organisationen speichern und nutzen. Diese müssen Auskunft geben, welche Daten mit welchem Zweck und auf welche Dauer gespeichert und wie sie verarbeitet werden. Patienten/Patientinnen, die diese Möglichkeit genutzt haben, haben u.a. den Schriftverkehr innerhalb der Krankenkasse und zwischen Krankenkasse und MDK erhalten. Mehr Informationen dazu: https://www.datenanfragen.de
  • Lokale Gruppen vor Ort: wenden Sie sich an lokale Gruppen und Vereine wie das Selbsthilfenetzwerk Cannabis Medizin SCM und tauschen Sie sich mit den Mitgliedern aus. Hier erhalten Sie auch Unterstützung von erfahrenen Patienten / Patientinnen.