Cannabis in der Schmerztherapie2023-01-06T14:52:03+00:00
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Cannabis in der Schmerztherapie

Das Wichtigste in Kürze

In diesem Artikel lesen Sie, wie Cannabis als Medizin in der Schmerztherapie in Deutschland bisher Fuß gefasst hat und welche Patienten von einer Add-on-Therapie mit Cannabinoiden profitieren können. Wir beschreiben, wie der Weg von schwerkranken Patienten zu einer erfolgversprechenden Therapie mit medizinischem Cannabis in der Praxis aussehen kann. Weiterhin sind die Hintergründe zur Chronifizierung des Schmerzes und der Aufbau eines individuellen Therapiekonzeptes hinsichtlich der aktiven Mitarbeit des Patienten an den Therapiezielen wichtige Elemente im Arzt-Patienten-Gespräch.

Sie erfahren außerdem, welchen Stellenwert Good Medical Practice gerade im Kontext mit der Cannabistherapie hat. In der Cannabis Expertensprechstunde geben Angelika Hilker und Norbert Schürmann regelmäßig Auskunft und Hilfestellung rund um das Thema Cannabis als Medizin. Die beiden Schmerzspezialisten geben wertvolle Tipps basierend auf eigener jahrelanger Praxiserfahrung, wie Ärzte im Praxisalltag die Versorgung von Patienten mit medizinischem Cannabis von der Antragstellung bis zur dauerhaften Therapiebegleitung managen können. Bereits häufig gestellte Fragen haben wir in einem FAQ zusammengestellt.

Wenn die Standardtherapie nicht ausreicht: Cannabinoide können helfen!

In Deutschland leiden 12 Millionen Menschen unter chronischen Schmerzen. Zu den häufigsten Krankheitsbildern gehören Rücken- und Kopfschmerzen, gefolgt von Nervenschmerzen und Tumorschmerzen. Nach der Standarttherapie austherapierte chronisch kranke Schmerzpatienten leiden tagtäglich unter ihrem Zustand. Sie bekommen Depressionen oder sogar psychische Probleme, was nicht selten zu Arbeitsausfällen und Frühberentung führt. Schmerzfrei sind sie fast nie. Manche Patienten geraten in ihrer Verzweiflung in ein Ärztehopping, ohne dass beteiligte Ärzte davon wissen. Die häufige Maßnahme, die tägliche Opioiddosis in Verbindung mit der zusätzlichen Einnahme von nicht retardiertem Opioid im Bedarfsfall zu senken, ist nicht zwingend von Erfolg gekrönt.

Seit 2017 haben Menschen mit starken Schmerzen in Deutschland, wenn die Standarttherapie ausgeschöpft ist, aber keine ausreichende Besserung eintritt oder nicht tolerierbare Nebenwirkungen auftreten, das Recht auf eine Cannabistherapie. Entschließt sich der Patient nach eingehender ärztlicher Beratung zu einer Therapie mit Cannabinoiden, muss der verordnende Arzt vor der ersten Verordnung einen individualisierten Antrag bei der Krankenkasse stellen. Nach der Genehmigung einer Erstverordnung nach §31 Abs 6 SGB V unterliegt jede weitere Verordnung der Therapiehoheit des behandelnden Arztes. Es besteht also für den Versicherten keine Pflicht, nochmals einen Antrag zu stellen.

Frustration von Patienten in der Behandlung

Wenn Standardtherapien versagen und das Outcome unter angepasster Medikation sogar weiter verschlechtert, breitet sich im Behandlungsverlauf auf Arzt- und Patientenseite zunehmend Frustration aus. Zu diesem Zeitpunkt sollte die Möglichkeit einer Add-on-Therapie mit medizinischem Cannabis mit dem verzweifelten Patienten diskutiert werden.

Cannabinoide sind eine gut akzeptierte Zusatztherapie

In Deutschland werden derzeit etwa 80.000 Patienten mit Cannabis als Medizin versorgt. Cannabinoide werden mit dem heute verfügbarem Wissen aus Literatur und Praxis zukünftig ein wichtiger Therapiebaustein sein, der sogar das Potential zu großen Einsparungen im Gesundheitssystem mit sich bringen kann. Modelle zur Versorgung werden aktuell evaluiert, um letztendlich eine leitliniengerechte Therapie deutschlandweit zur Verfügung zu haben. Obwohl einige Indikationen wie Migräne oder psychiatrische Erkrankungen aus Gründen fehlender Evidenz und Erfahrung bisher keine therapeutische Empfehlung haben, so ist die Behandlung von chronischen Schmerzen mit Cannabinoiden, wenn alle Standardtherapien ausgeschöpft sind, eine gut akzeptierte Zusatztherapie.

Einfache Patientengespräche ohne Begriffswirrwarr

Patientenedukation ist der Schlüssel, um den Betroffenen selbst und deren Angehörige bei der Krankheitsbewältigung zu unterstützen und neben den etablierten Therapien auch über den möglichen Einsatz von Cannabinoiden in der Schmerztherapie zu informieren. Der Patient soll verstehen, dass er ein chronisches Schmerzleiden hat. Das bringt Klarheit und unterbindet zunehmende Frustration. Einfache Gespräche ohne Begriffswirrwarr sind eine geeignete Maßnahme, um den Patienten über alle schmerzmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten zu informieren. So kann das Risiko minimiert werden, dass Patienten falsche oder gefährliche Informationen über nicht valide Quellen einholen. Das bedeutet nicht zwingend einen erhöhten Beratungsaufwand, sondern diesen zu vereinfachen und smart zu gestalten. Die Prämisse ist, dass der Schmerz das eigentliche Problem darstellt, auch wenn er anfänglich lediglich als Symptom aufgetreten sein mag.

Es hat sich bewährt, die Bausteine des individuellen Therapiekonzeptes für den Patienten in einer kleinen Skizze bildlich darzustellen. Die Therapieanteile können beispielsweise in Form von Tortenstücken einer „Schmerztorte“ aufgezeichnet werden. Die Wissensvermittlung ist für Patienten mit chronischen Schmerzen von immenser Bedeutung und signalisiert ihnen, dass sie mit ihrem Leiden ernst genommen werden. An dieser Stelle muss allerdings auch klar besprochen werden, dass sich messbare und langfristige Erfolge nur mit ausreichend Eigeninitiative des Patienten einstellen werden. Einige Tortenstücke werden deshalb mit Therapieanteilen gefüllt, die der Patient selbständig durchführen muss. Unrealistische und überzogene Therapieziele sind fehl am Platz.

Schmerztorte - Medizinische Wissensvermittlung im Arzt-Patienten-Gespräch

Neben der konkreten Schmerzlinderung können eine verbesserte Lebensqualität, bessere Beweglichkeit und geringere vegetative Symptomatik bereits realistische Ziele darstellen. Beim Einsatz von Cannabinoiden können die Patienten als willkommenen Begleiteffekt auch eine Wirkung gegen Angststörungen erwarten.

Chronische Schmerzen werden durch Angst verstärkt oder ausgelöst

Die Mehrzahl der Patienten mit chronischen Schmerzen haben eine jahrelange Leidensgeschichte. Dabei spielt eine antizipatorische Angst eine große Rolle. Die Patienten befürchten, dass unter einer Schmerztherapie keine Besserung eintritt oder die Schmerzen immer wieder zurückkommen werden. Generell kann Angst den Schmerz nicht nur verstärken, sondern auch auslösen – ein regelrechter Teufelskreis aus Schmerz und Angst gefolgt von Passivität entsteht.

Die Chronifizierung des Schmerzes – ein multifaktorieller Vorgang

Ein Schmerz erzeugt an den Nozizeptoren Nervenimpulse, die zum Rückenmark und weiter zum Thalamus geleitet werden. Die zentralnervöse Verarbeitung von neuralen Schmerzinformationen umfasst Vorgänge, von denen nur ein Teil die Bewusstseinsebene erreicht. Unbewusste und bewusste Vorgänge können das Nervensystem modulieren. Diese Veränderungen manifestieren sich molekularbiologisch und klinisch. Das ist Neuroplastizität. Durch wiederholte Schmerzerfahrungen prägt sich der Schmerz im Gehirn ein. Dabei kommt es zu einer dauerhaften Potenzierung der synaptischen Übertragung von Schmerzinformationen. Langanhaltende Sensibilisierungen und schmerzverstärkende Fehlfunktionen des Nervensystems können die Folge sein. Nozizeptive Rezeptoren reagieren jetzt viel empfindlicher auf Schmerzreize. Schließlich kann es zu einer Allodynie, Hyperalgesie oder spontan auftretenden Schmerzen kommen. Im Verlauf der Zeit wird der Schmerz zum Schmerzgedächtnis und gleichzeitig zu einer eigenständigen Erkrankung – dem chronischen Schmerz. Es ist folglich höchst praxisrelevant, die schon sehr früh einsetzenden Chronifizierungsprozesse möglichst schnell aufzuhalten.

Das Schmerzgedächtnis ist nicht löschbar

Um langfristige Erfolge auf dem individuellen Therapiepfad zu erzielen, müssen die Patienten ihr Schmerzgedächtnis „umprogrammieren“, es ist nicht löschbar. Der Ausweg für die Patienten liegt im Erlernen von neuen Strategien. Bisher ist der multimodale Therapieansatz der Königsweg.

Schaubild Multimodale interdisziplinäre Schmerztherapie

Neben eingesetzten Schmerzmitteln kommen anxiolytische und antidepressive Medikamente zum Einsatz und werden mit psycho- und physiotherapeutischen Techniken kombiniert. Zusätzlich werden Entspannungsverfahren, Musik- und Kunsttherapie oder Bewegungsprogramme angeboten. Mit diesem in Deutschland und international anerkannten Therapiekonzept erzielen die meisten Patienten langfristig Besserung ihres Befindens und ihrer Lebensqualität.

Good Medical Practice ergänzt evidenzbasierte Medizin

Cannabis und Cannabinoide spielen einerseits eine immer bedeutendere Rolle in der Versorgung von schwerkranken Schmerz- und Palliativpatienten, andererseits bestehen weit verbreitete Unsicherheiten bei der praktischen Anwendung verschiedener Cannabinoid-Wirkstoffe in der klinischen Praxis. Zweifel und Sorgen im Umgang mit Cannabinoiden aufgrund geringer bis mittlerer Evidenz bestehen vorwiegend in der Ärzteschaft und bei den Kostenträgern. Dies ist vorrangig in den wissenschaftlichen Publikationen zu Cannabis begründet. Dagegen haben Patienten weitaus weniger Bedenken im Umgang mit Cannabis als Medizin. Für viele Betroffene erscheint es unzumutbar, auf große, hochkarätige RCTs (randomisierte kontrollierte Studien) zu warten. Der kurzfristige medizinische Bedarf an wirksamen Add-on-Therapien, bei chronischen Schmerzen oder in der Palliativmedizin ist hoch. So gibt es Patienten, die nicht nur Opioide nicht vertragen, sondern auch Koanalgetika. Diese kommen als Wirkverstärker zum Einsatz und werden manchmal schlecht toleriert. Ungeachtet dessen sind solide Daten zu Cannabinoid-Therapien zukunftsweisend notwendig und erwünscht.

Die gegenwärtige Studienlage zeigt zwar eine schwache bis mäßige Evidenz für den medizinischen Einsatz von Cannabinoiden. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine medizinische Wirkung nicht existiert. Aus schmerzmedizinischer Sicht wird für vorhandene RCTs eine Schmerzreduktion von Cannabispräparaten von 30% gegenüber Placebo gefordert. Es ist bekannt, dass dieser Forderung selbst langjährig eingesetzte Schmerzmedikamente nicht gerecht werden. Allerdings ist gerade bei Tumorpatienten eine 10- oder 20%ige Reduktion des Tumorschmerzes ein beachtlicher Erfolg.

Einsatz von Cannabinoiden bei Tumorschmerzen - Meinung Arzt vs. Meinung Patient:in

In Studien werden die Cannabinoide teils oral, teils inhalativ eingenommen, die gemessenen Effekte werden häufig direkt miteinander verglichen. Die Aussagekraft solcher Ergebnisse ist relativ schwach und widerspricht oft den beobachteten Erfahrungen in der Praxis. Beobachtete Ergebnisse der „Good Medical Practice“ sind unzweifelhaft ein wichtiger und ergänzender Teil der modernen evidenzbasierten Medizin.

Stellenwert von Cannabis in der Palliativmedizin

Wenn die Heilung einer Erkrankung nicht mehr möglich ist, beispielsweise bei einer Krebserkrankung, steht die Lebensqualität und das Wohlbefinden des Betroffenen im absoluten Fokus. Der Wunsch, die letzte Zeit des Lebens weitestgehend schmerzfrei und mit möglichst geringen Beschwerden zu erleben, ist die Aufgabe der Palliativmedizin. Um den vielfältigen und belastenden Symptomen zu begegnen, sind Cannabinoide häufig zum Mittel der Wahl geworden. Die Zeit ist einfach nicht mehr vorhanden, um mehrere Standarttherapien nacheinander auszuprobieren. Das besonders günstige Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil und die Möglichkeit, mit Cannabis Opioiddosen reduzieren zu können, machen Cannabinoide häufig zum Mittel der ersten Wahl. Ob in der stationären oder in der ambulanten allgemeinen und spezialisierten Palliativversorgung, Cannabispräparate sind bis zur Dosisfindung unproblematisch aufzutitrieren. Generell empfiehlt sich eine einschleichende Dosierung. Das breite Wirkspektrum der Cannabinoide sichert Lebensqualität der Palliativpatienten!

Expertensprechstunde Cannabis mit FAQ

Auf der Wissensplattform Ethypharm Academy ist die Expertensprechstunde Cannabis in kurzer Zeit zum beliebtesten Fortbildungsformat geworden. Ärzte und Apotheker senden vorab ihre Fragen zum Thema Cannabis oder eine Fallbesprechung ein. Die Fragen werden dann im Rahmen der Expertensprechstunde mit Dr. Angelika Hilker, Fachärztin für Allgemeinmedizin und Anästhesiologie am Katholisches Klinikum Bochum und in eigener Praxis und Dr. Norbert Schürmann, Leiter der Abteilung Schmerztherapie am St. Josef Krankenhaus Moers, als interaktive Fortbildung für Mediziner diskutiert und beantwortet. Dr. Schürmann hat die Vizepräsidentschaft der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) inne. Der folgende FAQ wird die von Ärzten und Apothekern bereits häufig gestellten Fragen mit Expertenwissen beantworten. Wir hoffen, dass Sie durch die praxisnahe Betrachtung der Themen hilfreiche Tipps für den Umgang mit Cannabis als Medizin in Ihrer Praxis oder Apotheke erhalten.

Welche Darreichungsform ist besonders für Cannabis Therapiestarter geeignet: Extrakte oder Blüten?2023-01-06T14:02:54+00:00

Für die Therapie chronischer Schmerzen eignen sich Extrakte besonders gut. Generell fluten oral oder oromukosal verabreichte Cannabispräparate langsam an. Dies führt zu einer verzögerten Absorption und flachen Plasmakonzentrationskurven. Eine maximale Konzentration zeigt sich nach ein bis zwei Stunden. Diese Präparate haben einen längeren Steady-State, ähnlich wie retardierte Opioide. Die Wirkdauer der Extrakte beträgt zwischen 6 und 12 Stunden, was besonders für chronische Schmerzpatienten von Vorteil ist. Zudem sind die Handhabung und exakte Dosierung von Extrakten für Patienten sehr einfach. Falls bei einigen wenigen Patienten unter einem Extrakt weiterhin Schmerzattacken auftreten, können Blüten dazu gegeben werden. Allerdings ist die Anwendung von Blüten für alte Patienten oft schwierig, dann werden andere orale oder oromukosale Alternativen gesucht.

Nach welchen Kriterien wähle ich als Arzt das richtige Cannabispräparat für meinen Patienten aus?2023-01-06T14:13:20+00:00

Das THC/CBD-Verhältnis spielt bei der Auswahl des passenden Cannabispräparates die entscheidende Rolle. Neuropathische Schmerzen, Spastiken, auch einschießende Schmerzen oder Palliativpatienten mit Übelkeit werden am besten mit einem THC-lastigen Extrakt oder reinem THC (Dronabinol) behandelt. Bei Krankheiten mit entzündlicher Komponente wie Rheuma und Fibromyalgie oder auch bei Schlafstörungen eignen sich CBD-lastige Extrakte. Patienten mit Posttraumatischem Belastungssyndrom (PTBS) mit Schlafstörungen profitieren ebenfalls von CBD-lastigen Extrakten.

Welche Nebenwirkungen sind THC und welche CBD zuzuschreiben?2023-01-06T14:17:33+00:00

Die Fähigkeit von CBD, am CB1-Rezeptor bei niedriger Konzentration und in Anwesenheit von THC zu antagonisieren, obwohl es eine geringe Bindungsaffinität hat, resultiert in der Modulation von THC-induzierten Nebenwirkungen wie Angst, Tachykardie, Hunger und Sedierung. Die Verträglichkeit von THC kann also durch eine Kombination mit CBD deutlich verbessert werden.

Können mit dem Einsatz von Cannabinoiden Opioide eingespart werden?2023-01-06T14:21:31+00:00

Die synergistische Wirkung von Cannabinoiden und Opioiden sowie ein Opioideinspareffekt bei der Kombination beider Substanzen ist bekannt. THC kann die Opiatrezeptoren modulieren und verbessert das Outcome vom Opioid. CBD stimuliert die CB1 Rezeptoren und verändert so die Wirkung von THC. Cannabis unterstützt also die Opioide in der Wirksamkeit. Es ist mittlerweile belegt, dass der Verbrauch an Opioiden bei alten Patienten um 50-60% reduziert werden kann. Es sollte sich in der Therapie chronischer Schmerzen und in der Palliativmedizin daher nicht die Frage stellen, ob Opioide oder Cannabinoide zum Einsatz kommen, sondern wie medizinisches Cannabis ergänzend in den Therapieplan integriert wird.

Add-on-Therapie mit Cannabinoiden
Gibt es ein Dosierschema, am besten zum Aushändigen für den Patienten und welche Dosierung verspricht zum Therapiestart Erfolg?2023-01-06T14:23:46+00:00

Hier gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder kommt eine vorbereitete Dosierhilfe, welche Pharmafirmen zur Verfügung stellen zum Einsatz oder der Arzt entwirft ein eigenes Dosierschema. 2,5mg THC ist in den meisten Fällen die geeignete Startdosis. Besonders bei alten Patienten kann am Anfang auch niedriger dosiert werden. Es kommt darauf an, mit welchen Extrakten gearbeitet wird. Beispielsweise sind balancierte Extrakte mit 10mg THC und 10mg CBD pro Milliliter erhältlich. Der Patient kann mit 0,25ml pro Tag starten. Das entspricht dann 2,5mg THC. Falls weder Wirkung noch Nebenwirkungen beobachtet werden, kann langsam weiter auftitriert werden. Dieses Vorgehen vermeidet unnötiges Auftreten von Nebenwirkungen. Der Leitsatz für den Therapiestart lautet: Start low, go slow.

Wann sollte der Patient ein CBD Präparat verordnet bekommen?2023-01-06T14:24:47+00:00

CBD allein hat keine analgetische Potenz. Die entspannende Wirkung von CBD auf Muskeln oder bei Epilepsie, sowie die schlaffördernde Wirkung ist aber häufig begleitend gewünscht und trägt zu einer deutlich besseren Lebensqualität bei. Ein CBD-lastiger Extrakt eignet sich hervorragend. Wir wissen, dass hochdosierte Opioide lokale Entzündungen verursachen. Hier wirkt CBD herunterregulierend und antientzündlich. Außerdem kann CBD die Wirkung von THC verbessern. Falls ein Patient unter den psychotropen Wirkungen des THC leidet, kann mit CBD eine deutlich bessere Verträglichkeit erreicht werden. Der Patient benötigt dann weniger THC für die gewünschte Wirkung.

Sind CBD Präparate von der Krankenkasse erstattungsfähig?2023-01-06T14:25:41+00:00

Ja, wenn der CBD Extrakt 0,2% THC enthält, kann es auf einem BTM-Rezept verordnet werden und ist dann erstattungsfähig. Einen reinen CBD Extrakt müsste der Patient selbst zahlen.

Wie erfolgreich ist medizinisches Cannabis bei Epilepsie?2023-01-06T14:26:44+00:00

Reines, hochkonzentriertes CBD mit 100mg pro Milliliter wird bei Epilepsieformen wie Lennox-Gastaut-Syndrom sehr erfolgreich eingesetzt. Dieses seltene, aber schwere infantile Epilepsie-Syndrom wird in spezialisierten Zentren behandelt.

Gibt es eine Leitlinie für den Einsatz von Cannabinoiden?2023-01-06T14:27:32+00:00

Ja, die DGS Praxisleitlinie Cannabis in der Schmerzmedizin ist als Hilfestellung für die Anwendung von Cannabinoiden in der konkreten Betreuung von schwerstkranken Patienten zu verstehen. Sie fasst die vorhandene Evidenz zu Cannabinoiden ausschließlich mit Studien guter Qualität zusammen. Dementsprechende Therapieempfehlungen sind mit dem Empfehlungsgrad A bis C versehen. Um die Aussagekraft noch zu erhöhen, enthält die Praxisleitlinie auch Erfahrungen von ärztlichen Kollegen und Patienten zum Einsatz und dem Outcome der Cannabistherapie. Eine Förderung des Freizeitgebrauchs von Cannabis wird ausdrücklich abgelehnt.

Welche Indikationen in der Praxisleitlinie haben den Empfehlungsgrad A?2023-01-06T14:29:02+00:00

Für die Indikationen chronischer Schmerz, Tumorschmerz und nicht tumorbedingter Schmerz, neuropathischer Schmerz sowie schmerzhafte Spastik bei fortgeschrittener Multiple Sklerose hat die DGS-Praxisleitlinie für die Anwendung cannabishaltiger Arzneimittel den Empfehlungsgrad A festgelegt. Neben den festgelegten Indikationen für zugelassene Fertigarzneimittel wie Nabiximols, liegt die Indikationsstellung für den Einsatz von medizinischem Cannabis, allein im Ermessen des Arztes und seiner Beurteilung über eine zu erwartende Verbesserung der Symptome. Häufig verbessert sich die allgemeine Lebensqualität, auch wenn der Schmerz gleichbleibend wahrgenommen wird, da sich Schlaf oder Stimmung verbessern.

Übersicht der Cannabis-Indikationen mit Empfehlungsgrad A
Gibt es aus medizinischer Sicht eine Altersgrenze für den Einsatz von medizinischem Cannabis?2023-01-06T14:34:04+00:00

Nach oben nicht, nach unten schon. Da die Wirkungen von Cannabis auf ein sich entwickelndes Gehirn noch nicht vollständig geklärt sind, sollte ein Mindestalter von 25 Jahren nur in Ausnahmefällen unterschritten werden. Vorsichtiges und einschleichendes Dosieren der Cannabinoide ist generell, aber besonders bei alten Patienten wichtig, um eine gute Verträglichkeit der Therapie zu erzielen. Weitere Medikamente wie Opioide und Antiepileptika sollten rechtzeitig reduziert werden.

Wie sicher ist medizinisches Cannabis für meine Patienten?2023-01-06T14:33:26+00:00

Da es keine Rezeptoren für Cannabinoide im Atemzentrum gibt, wirkt Cannabis nicht atemdepressiv. Das macht medizinisches Cannabis zu einem sehr sicheren Arzneimittel.

Wie lange dauert es, bis eine Wirkung eintritt?2023-01-06T14:34:57+00:00

Ob in der Schmerztherapie, gegen Übelkeit oder bei Tumorkachexie in der Palliativmedizin zur Anregung des Appetits – der Wirkeintritt benötigt fast immer 5 bis 7 Tage. Die Übelkeit kann anfangs sogar verstärkt werden. Etwa nach dem 4. Tag verspürt der Patient dann die gewünschte Wirkung und die Übelkeit lässt nach. Die Empfehlung ist dementsprechend, auch niedrig dosierte Cannabispräparate, auf jeden Fall 7 Tage zu verabreichen und dann die Gabe, falls notwendig, anzupassen. In den seltenen Fällen, wo zentralnervöse Störungen unter niedriger Dosierung auftreten und den Patienten stark beeinträchtigen, muss das Präparat abgesetzt werden.

Wann zahlt die gesetzliche Krankenkasse für Cannabis als Medizin?2023-01-06T14:36:08+00:00

Grundsätzlich muss die Kasse vor Therapiebeginn dem Einsatz von Cannabis zustimmen. Der behandelnde Arzt stellt vor der Erstverordnung mit dem Patienten einen begründeten Antrag auf Kostenübernahme. Wenn die folgenden drei Bedingungen erfüllt sind, wird der Antrag bewilligt:

  1. Es handelt sich um eine schwerwiegende Erkrankung.
  2. Andere Therapien stehen nicht zur Verfügung beziehungsweise können im Einzelfall nicht angewendet werden.
  3. Es liegt eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome vor.
Darf ein Arzt Cannabis auf Privatrezept verordnen, wen der Antrag auf eine Cannabistherapie vom Medizinischen Dienst (MD, vormals MDK) abgelehnt wurde und man sich nicht im Widerspruch befindet?2023-01-06T14:36:50+00:00

Ja, ein Kassenarzt kann Cannabis in diesem Fall auch auf Privatrezept verordnen. Allerdings ist Cannabis als Medizin eine gesetzliche Kassenleistung, auf die jeder versicherte Kassenpatient Anspruch hat.

Was kann ich tun, wenn der Antrag abgelehnt wurde?2023-01-06T14:37:42+00:00

Wird der Antrag abgelehnt, kann der Hausarzt Widerspruch einlegen, der bis zum Sozialgericht gehen kann. Das Sozialgericht entscheidet üblicherweise für den Patienten. Sie könnten den Antrag nach der Ablehnung auch noch einmal neu stellen, da die Krankenkasse dann erneut entsprechende Fristen einhalten muss. Bei einem Widerspruch sind die Kassen offensichtlich an keine Fristen gebunden. Weiterhin ist es äußerst wichtig und hilfreich, das Gutachten des MD genau nach den Gründen der Ablehnung zu erörtern. Der persönliche Kontakt zum Gutachter, auch wenn er teilweise nicht ganz einfach herzustellen ist, offenbart meist sehr schnell die Gründe, die zur Ablehnung geführt haben. Dann kann der Antrag direkt noch einmal gestellt werden. Manchmal stehen sogar falsche Forderungen im Raum: Wenn die Kasse beispielsweise eine stationäre Therapie für den Patienten fordert, um die Standardtherapien auszuschöpfen, sollte diese Forderung zurückgewiesen werden, da sie nicht existent ist.

Mein Patient ist privat krankenversichert. Muss ich einen Antrag stellen?2023-01-06T14:38:26+00:00

Ja. Auch in diesem Fall bedarf es der Beantragung. Am besten telefoniert der Patient mit seiner Krankenkasse und fordert einen Antrag an. Das erspart viel Arbeit.

Gibt es eine Möglichkeit, Cannabis auch ohne Antragstellung zu verordnen?2023-01-06T14:39:26+00:00

Voraussetzung für den Einsatz von Cannabinoiden für Patienten mit chronischen Schmerzen ist die Ausschöpfung aller Standardtherapien. Es besteht seit dem 1. Juli 2022 ein Selektivvertrag zwischen der DGS und der AOK Nordrhein. Der Vertrag ermöglicht eine deutlich vereinfachte Verordnung von Cannabispräparaten, da die Therapieentscheidung ausschließlich beim behandelnden Arzt in Absprache mit seinen Patienten liegt. Die DGS bietet ein Online-Curriculum für alle Fachärzte an, die nach erfolgreicher Lernzielerfolgskontrolle über den Selektivvertrag den Versicherten Cannabinoide direkt verordnen dürfen. Für weitere Informationen klicken Sie HIER.

Angelika Hilker und Norbert Schürmann bieten ärztlichen Kollegen explizit Hilfestellung in allen auftretenden Fragen zu Cannabis als Medizin an und bitten um entsprechende Kontaktaufnahme. Herzlichen Dank!

Gender-Disclaimer

Die in diesem Text verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich immer gleichermaßen auf weibliche und männliche Personen. Auf eine Doppelnennung und gegenderte Bezeichnungen wird zugunsten einer besseren Lesbarkeit verzichtet.

Quellen

  1. Russo EB. Taming THC: potential cannabis synergy and phytocannabinoid-terpenoid entourage effects. Br J Pharmacol. 2011 Aug;163(7):1344-64. doi: 10.1111/j.1476-5381.2011.01238.x. PMID: 21749363; PMCID: PMC3165946.
  2. Abrams DI et al. Cannabinoid-opioid interaction in chronic pain. Clin Pharmacol Ther. 2011 Dec;90(6):844-51. doi: 10.1038/clpt.2011.188. Epub 2011 Nov 2. PMID: 22048225.
  3. Horlemann J et al. DGS-Praxisleitlinie. Cannabis in der Schmerztherapie. 2018. Version: 1.0 für Fachkreise. www.dgs-praxisleitlinien.de/index.php/leitlinien/cannabis
  4. Gastmeier K, Gastmeier A, Rottmann F et al. Cannabinoide reduzieren den Opioidverbrauch bei älteren Schmerzpatienten. Schmerz (2022). doi:org/10.1007/s00482-022-00642-0.
  5. BfArM-Abschlussbericht zur Begleiterhebung vom 6.7.2022. https://www.bfarm.de/DE/Bundesopiumstelle/Cannabis-als-Medizin/Begleiterhebung/_node.html
  6. Moulin D et al. Canadian Pain Society. Pharmacological management of chronic neuropathic pain: revised consensus statement from the Canadian Pain Society. Pain Res Manag. 2014 Nov-Dec;19(6):328-35. doi: 10.1155/2014/754693. PMID: 25479151; PMCID: PMC4273712.
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